Der Mythos von unberührter Natur oder Wildnis
… ist und bleibt ein Mythos, den ich hier nicht deuten oder interpretieren, sondern als Illusion entlarven will. Es handelt sich um eine tendenziell optimistisch gestimmte Sichtweise. In Anbetracht der aktuellen
Sachlage tendiere ich aber ebenso zu einer pessimistischen Betrachtung des Sachverhalts.
Radikal formuliert, müsste man menschliche Gesellschaften als Zerstörer oder zumindest als Störenfriede einer natürlichen Welt ansehen. Dann ist es auch kein großer Sprung mehr, dazu überzugehen, einen Großteil der
Menschheit abzuwerten - als eine kontaminierende, verunstaltende Masse anzusehen. Es geht also darum, unerwünschte Menschen auszugrenzen, um Bastionen der unberührten Welt zu erhalten, was die extreme Ausprägung einer
dichotomen Sichtweise von Natur und Gesellschaft darstellt.
Diese Erkenntnis sollte dazu veranlassen, neu darüber nachzudenken, was «Natur» und «Wildnis» wirklich sind. Wenn wir mit «Natur» etwas meinen, das vom Menschen unberührt ist, dann gibt es fast nirgendwo auf der Erde solche
Bedingungen, die seit Tausenden von Jahren bestehen. Das Gleiche gilt für das Klima der Erde. Ein klarer Blick für die Verflechtung der menschlichen und der natürlichen Welt ist unerlässlich, wenn wir uns den beispiellosen
ökologischen Herausforderungen unserer Zeit stellen wollen. Eine naive Romantisierung einer unberührten Erde ist dabei nur hinderlich.
In Weltsichten vieler indigener Kulturen ist die Natur grundlegend und untrennbar mit der menschlichen Gesellschaft verbunden (s. Beitrag ➔ Indigenes Wissen)
Glücklicherweise gewinnt das in Naturschutzkreisen zunehmend an Bedeutung, wo sie die Einstellung darüber verändert, wie eine nachhaltige und widerstandsfähige Bewirtschaftung von Land und Ökosystemen in Zukunft möglich ist.
Meiner Meinung nach verläuft dieser Prozess der Einsicht leider viel zu langsam, so dass weitere ökologische Krisen unausweichlich sind. Fakt ist, dass indigene Kulturen über Jahrtausende hinweg eine nachhaltige Umwelt aufrechterhalten haben.
Wir leben in einer einzigartigen Zeit der Geschichte, in der unser Bewusstsein für unsere Rolle bei der Veränderung des Planeten in dem Moment zunimmt, in dem wir ihn mit einer alarmierenden Geschwindigkeit verändern. Es ist eine
Ironie des Schicksals, dass der technologische Fortschritt gleichzeitig sowohl die Umweltveränderungen beschleunigt als auch unsere Fähigkeit, unseren Einfluss auf das Leben auf der Erde zu verstehen. Ein besseres Verständnis, wie
unsere Umwelt mit unseren kulturellen Werten verknüpft ist, hilft uns letztlich dabei, bessere Entscheidungen zu treffen - und es legt die Verantwortung für die Zukunft des Planeten direkt auf unsere Schultern.
Es existieren zahlreiche Hinweise, dass im amazonischen Gebiet seit Jahrtausenden Menschen lebten. Deren Spuren sind teilweise schwer nachzuweisen, was in ihrer nachhaltigen Lebensweise begründet liegt. Manchmal sind die kunstvoll-kreativen Hinterlassenschaften auch recht offensichtlich, wie im Fall der Werehpai-Höhlen im Südwesten von Surinam.


