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Ein weiterer Biodiversitäts-Hotspot in Amazonien mit spektakulären Naturerlebnissen für Besucher, wie mich.
Wer keine Luxus-Lodge bucht, sollte aber hart im Nehmen sein, wie sonst auch in Gebieten mit ähnlicher
Beschaffenheit. Zunächst war ich allein unterwegs, um mich später einem Biologen-Team anzuschließen. Das
Abenteuer beginnt mit der Fahrt von Iquitos ins 100km entfernte Nauta. Dort liegt am Ufer des Marañon bereits
eine Flotille von Langbooten vertäut, die Besucher ins Naturreservat Pacaya-Samiria bringen soll. Träger
schleppen kistenweise Getränke an Bord, Berge von Bananen, palettenweise Eier. Mein Guide Perez ist in dem
Wirrwarr verschwunden, um noch letzte Vorräte einzukaufen.
Als alles verladen ist, tuckern wir den Marañon stromabwärts. Das Ufer zieht in hübscher, grüner Eintönigkeit
vorbei. Ibisse lauern in der Böschung, Geier kreisen am Himmel. Auf einer Flussinsel werden von September bis
Dezember Melonen, Papayas, Reis und Tomaten angebaut. Danach steigt der Fluss so stark an, dass alles
überflutet ist. Die Häuser der Dörfer stehen deshalb auf hohen Stelzen - anders als das, was die kommenden
Tage mein Zuhause sein wird: ein schiefes Gebälk, darauf ein Dach aus Palmblättern. Als Urwaldcamp geht es nur
mit viel gutem Willen durch: Es steht auf dem Bohnenfeld des Kapitäns.
Während der Kapitän auf seinem Boot das Abendessen zubereitet, führt mich Perez hinein ins Grün. Mit der
Machete bahnt er den Weg, fällt ein paar Elefantenohren, wie die Colocasia auf Englisch heißen, und legt ihre
Stämme als Brücke über einen Bach. Dann säbelt er sich weiter durch dichtes Schilf. Das Ziel der Schinderei
ist ein See, auf dem die wohl schönste Wasserpflanze der Welt wächst: Victoria amazonica, die
Amazonas-Riesenseerose. Dutzende der grünen Teller bedecken das Wasser, manche mit einem Durchmesser von zwei
Metern. Dazwischen leuchten zartrosa Blüten. Das Licht wird golden. Zeit zurückzukehren. Die Nacht kommt
schnell in den Tropen. Als wir die Uferböschung hinab klettern, wartet der Kapitän schon auf dem Boot mit
gekochtem Fisch, Reis und Tomaten. Gemessen an den Umständen ein ausgezeichnetes Dinner, serviert in
Logenlage: Über Fluss und Urwald geht die Sonne unter und lässt die Ränder der Wolken rot glühen.
Zeit zum Schlafen. Perez legt eine dünne Matratze unter das Schilfdach und spannt ein Moskitonetz auf. Es
dauert nur ein paar Minuten - Zeit genug für einen Schwarm Mücken, der mit der Dämmerung über uns herfällt.
Als Perez endlich die Enden des Netzes unter die Matratze gestopft hat, krieche ich unter den rettenden
Gitterdom und erschlage die sieben Mücken, die mitgekommen sind. Hinter dem Netz lärmt die Armee der Vampire,
am Horizont flackert ein Gewitter. Der Schlaf kommt schnell wie die Nacht. Perez Stimme weckt mich, als die
rote Sonne aus dem Morgennebel steigt. Perez brät Omelettes über dem Feuer, dazu gibt es Instant-Kaffee.
Papageien kreischen in den Ästen. "Ich komme das ganze Jahr mit Touristen hierher", erzählt der Guide, "auch
in der Regenzeit. Dann fahren wir eben mit dem Boot in die Kanäle."
Perez hackt sich durchs Unterholz. Trotz seiner Vorarbeit ist das Wandern mühsam: Immer wieder muss man sich
unter Ästen hindurch ducken, verfängt sich ein Schuh in einer Lianenschlinge, ritzen Dornen die Haut. Der
Schweiß strömt. Aber der Regenwald ist die Mühsal wert. Hunderte Jahre alte Ficus-Bäume breiten ihr
Blätterdach über uns aus, Bromelien hängen von den Ästen, die meterhohen Brettwurzeln schlängeln sich in alle
Richtungen durch die Erde. Schwarze Hornwehrvögel starten mit schwerem Flügelschlag und empört oinkend, als
wir ans Ufer eines Sees treten. Perez zeigt auf eine Rinne in der Erde. "Das war eine Anakonda. Die Spur ist
frisch, von diesem Morgen." Er stochert mit seiner Machete im Schlamm herum. "Irgendwo hier hat sie sich
vergraben. Komm her!" Wir schrecken aber nur einen Baby-Kaiman auf, der schnell davon schwimmt. Wir rasten auf
einer Lichtung.
Perez kennt den Wald perfekt und spürt auch die scheuesten seiner Bewohner auf. Den Nachtaffen, der an einem
Ast hängt und dösig herabschaut. Den Ameisenbär, der sich in einen Baumstamm gekrallt hat. Und den Brüllaffen,
der besonders schwer zu finden ist. Zuerst sehe ich nichts in dem grünen Wimmelbild, dann erkenne ich ein
rotes Köpfchen. Lange starrt das Äffchen zu uns herab, als würde es uns mustern: Fressfeinde? Harmlose
Spinner? "Er ist der Anführer", wispert Perez. Der Patriarch einer Gruppe von fünf bis sechs Affen. Wir lassen
dem Alphatier seine Ruhe und stapfen zurück. Dunkle Wolken quellen am Himmel. "Nein, heute regnet es nicht",
sagt Perez. Minuten später Dusche. Ich rutsche auf einem Baumstamm aus. Ameisen beißen in meine Hand, als ich
mich abstütze. Wir stapfen weiter, erschöpft und triefend. Ich habe meine Lektion gelernt. Der Regenwald ist
wunderschön. Aber er ist nicht mein Revier.